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Guidelines St. Galler Geriatriekonzept. Guideline Nummer S-1, Version 1, Dezember 2006
Delirium

Version 1, Dezember 2006
Dr. med. Stefan Pazeller
Einleitung
Das Delirium ist im Gegensatz zur Demenz ein akuter Verwirrtheitszustand. Es tritt gehäuft
bei älteren Patienten auf und ist bei den über 65-jährigen für mehr als 49 % der Hospitalisa-
tionstage verantwortlich. In dieser Altersgruppe tritt ein Delirium in bis zu 24 % bei Eintritt, in
bis zu 50 % postoperativ und während der Hospitalisation auf. Das Delirium geht oft mit le-
bensbedrohlichen Zuständen einher und hat bei hospitalisierten Patienten eine ähnlich hohe
Mortalitätsrate (bis 76 %) wie ein akuter Myokardinfarkt oder eine Sepsis. Zudem folgt einem
Delirium häufig eine Kaskade von Ereignissen, welche mit dem Verlust der Unabhängigkeit,
erhöhter Morbidität und vermehrten Gesundheitskosten einhergehen.
Das Delirium ist häufig, wird aber trotzdem in bis zu zwei Drittel der Fälle nicht erkannt.
Diagnosekriterien nach DSM IV
Eine Bewusstseinsstörung mit eingeschränkter Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu richten,
aufrecht zu erhalten oder zu verlagern.
Eine Veränderung der kognitiven Funktionen (wie Gedächtnisstörung, Desorientiertheit,
Sprachstörung) oder die Entwicklung einer Wahrnehmungsstörung, die nicht besser durch
eine schon vorbestehende, manifeste oder sich entwickelnde Demenz erklärt werden kann.
Das Störungsbild entwickelt sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne (gewöhnlich innerhalb
von Stunden oder Tagen) und fluktuiert üblicherweise im Tagesverlauf.
Es gibt Hinweise aus der Anamnese, der körperlichen Untersuchung oder den Laborbefun-
den, dass das Störungsbild durch die direkten körperlichen Folgeerscheinungen eines medi-
zinischen Krankheitsfaktors verursacht ist.
Assessment-Instrument
Confusion Assessment Method (CAM)
Einteilung nach psychomotorischer Aktivität
Das Delirium macht sich im klinischen Alltag in vier Erscheinungsformen bemerkbar. Patien-
ten mit einem hypoaktivem Delir haben ein schlechteres Outcome, als solche mit einem hy-
peraktiven Delirium.
hyperaktives Delir, u.a. Delirium tremens (ca. 15 %)
psychomotorische Unruhe, erhöhte Irritierbarkeit, Halluzinationen, Angst, ausgeprägte vege-
tative Zeichen
hypoaktives Delir, u.a. Intoxikationen (ca. 25 %)
scheinbare Bewegungsarmut, kaum Kontaktaufnahme, Halluzinationen und Desorientierung
erst durch Befragen deutlich, kaum vegetative Zeichen
gemischtes Delir (ca. 50 %) (hyper- und hypoaktive Anteile)
Geriatrische Klinik Kompetenzzentrum Gesundheit und Alter St. Gallen Guidelines St. Galler Geriatriekonzept. Guideline Nummer S-1, Version 1, Dezember 2006
psychomotorisch unauffällig (ca. 10 %)
Ätiologie
Die genaue Pathophysiologie ist nicht klar. Aktuell erklärt sich das Delir am ehesten aus ei-
nem Ungleichgewicht der Neurotransmitter (cholinerges Defizit, dopaminerger Überschuss,
Störung anderer Neurotransmitter), welche durch Cytokine (z.B. Permeabilitätserhöhung der
Blut-Hirn-Schranke, Veränderung der Neurotransmission) moduliert werden. Im geriatrischen
Klinikalltag ist die Ursache des Deliriums typischerweise multifaktoriell bedingt. Prinzipiell
kann jede Erkrankung oder jedes Medikament wie auch psychosoziale Belastungen ge-
brechliche alte Menschen (vor allem Demente, Multimorbide, polypharmazeutisch Behandel-
te) delirant werden lassen.
Auflistung häufiger Ursachen eines Delirs beim geriatrischen Patienten
Medikamente
- Medikamente mit anticholinerger Nebenwirkung Neuroleptika, Antiparkinsonmedikamente, heterozyklische Antidepressiva, Antihistamika, Antikonvulsiva, Sedativa, Scopolamin, Opiate, Chinolone, Augentropfen (Mydriatika), urologische Anticholinergika - Steroide, Nifedipin, Isosorbiddinitrat, Furosemid, Antiarrhythmika (Digoxin), Theophyllin, Chemotherapeutika - Polypharmazie (Kumulation anticholinerger Nebenwirkungen) Leber- und Niereninsuffizienz, Hypoxien, Anämien Endokrinopathien (Hyper-/Hypoglykämien, Hyperkalzämie, Hyperthyreose) Kardiopulmonal Herzinsuffizienz, Myokardinfarkt, Kardiale Arrhythmien, Lungenembolien Diverses TIA, cerebrovaskulärer Insult, Subduralhämatom Harnverhalt, massive Obstipation nach Narkose Seh- und Hörstörungen
Dauer und Prognose
Das Delir klingt häufig innerhalb einiger Tage ab, kann aber mit fluktuierendem Verlauf bis zu
6 Monaten dauern. Je schwerer und je länger ein Delir (unbehandelt) besteht, desto häufiger
und stärker sind die kognitiven Folgeschäden für den Patienten.
Differentialdiagnose

Geriatrische Klinik Kompetenzzentrum Gesundheit und Alter St. Gallen Guidelines St. Galler Geriatriekonzept. Guideline Nummer S-1, Version 1, Dezember 2006 Aufmerksamkeit eingeschränkt wenig
Ein Delir kann sich auf eine Demenz oder eine Depression aufpfropfen, was die Differential-
diagnose erheblich erschwert.
Therapie
1. Identifikation möglicher Ursachen und nach Möglichkeit kausale Therapie
- Medikamente evaluieren und eventuell absetzen - strukturierter Tagesablauf, das Trinken überwachen/anbieten - Förderung der Mobilität, der ADL (activities of daily living) - Reizabschirmung, Realitätsbezug herstellen, klare Kommunikation - Stabilisierung sensorischer Defizite (Brille aufsetzen, Hörgerät tragen lassen, etc.) - Einbezug, Aufklärung und Betreuung der Angehörigen - Bezugspersonen schaffen
Eine medikamentöse Therapie ist bei denjenigen Patienten notwendig, welche durch ihre
Agitation sich selbst (Verweigerung der Medikamente, Weglauftendenz, etc.) oder die Um-
gebung gefährden. Die Therapie wird in der Regel mit einem Neuroleptikum begonnen. Da-
bei ist Haloperidol als einziges in randomisierten kontrollierten Studien untersucht. Es gilt
deshalb als Medikament erster Wahl. Bei fehlendem Ansprechen einer medikamentösen
Therapie ist zuerst die Dosis zu steigern und erst in zweiter Linie auf ein anderes Medika-
ment zu wechseln.
Medikamentöses Therapieschema
1. Wahl: Haldol®
- Tropfen = 2mg/ml (10 Tr = 1 mg) , 1 Ampulle = 5mg/ml - max. Wirkung oral: ab 4-6h - Sedation ab 3-6mg/d - extrapyramidale Symptome (EPS) treten ab 3mg/d gehäuft auf - antipsychotischer, weniger sedierend, häufiger EPS als Seroquel® - 1. Wahl bei M. Parkinson, Lewy Body Demenz - max. 400mg/d, relativ grosse therapeutische Breite, sedierend Weitere Therapiemöglichkeiten Temesta® - 1.Wahl bei Benzodiazepin- und Alkoholentzug - zusätzliche Sedation bei ungenügendem Ansprechen der neuroleptischen Therapie Geriatrische Klinik Kompetenzzentrum Gesundheit und Alter St. Gallen Guidelines St. Galler Geriatriekonzept. Guideline Nummer S-1, Version 1, Dezember 2006 Schwere Agitation
Lässt sich ein Patient durch obenstehende Therapie nicht führen, muss eine Überweisung
mittels fürsorgerischem Freiheitsentzug in eine gerontopsychiatrische Klinik erfolgen. Ist dies
aus medizinischen Gründen nicht möglich, muss das weitere Procedere mit den Geron-
topsychiatern der psychiatrischen Kliniken abgesprochen werden.
Literatur
Inouye SK. Delirium in Older Persons, Review. N Engl J Med 2006; 354: 1157-65.
Najma Siddiqi N, House AO, Holmes JD. Occurence and outcome of delirium in medical in-
patients: a systematic literature review. Age Ageing 2006; 35: 350-64.
Meagher DJ. Delirium: optimising management, Review. BMJ 2001; 322: 144-9.
Förstl Hans et al. (Hrsg). Lehrbuch der Gerontopsychiatrie und Psychotherapie. Thieme,
Stuttgart, 2003.
Dank
Die Empfehlungen wurden freundlicherweise durch Frau Dr. med. M. Padrutt, Leitende Ärztin
Gerontopsychiatrie Wil SG gelesen und ergänzt.
Geriatrische Klinik Kompetenzzentrum Gesundheit und Alter St. Gallen

Source: http://www.buergerspital.ch/Portals/3/media/geriatrische/PDF/Delirium_S1_V1_2006.pdf

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