Behandlung des Tourette-Syndroms PD Dr. med. Kirsten R. Müller-Vahl Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie Medizinische Hochschule Hannover September 2005
Diese Broschüre wurde konzipiert, um Personen mit Tourette-Syndrom und deren
Angehörige über die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten der Erkrankung zu
informieren. Sie soll und kann die Diagnostik und Therapie durch einen Arzt nicht
Die Broschüre wurde verfasst von: PD Dr. med. Kirsten Müller-Vahl Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Str. 1 30625 Hannover Tel.: 0511-5323167 Fax: 0511-5323187 Herausgeber: Tourette-Gesellschaft Deutschland e.V. Vorstand:
Michaela Flecken, Monschau (2. Vorsitzende)
Danksagung: Herrn Prof. Dr. A. Rothenberger danke ich sehr herzlich für die kritische Durchsicht des Manuskriptes und die wichtigen Ergänzungen zu speziellen Aspekten der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Tourette-Syndrom. Tourette-Gesellschaft Deutschland e.V. c/o Prof. Dr. A. Rothenberger Universität Göttingen Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie von-Siebold-Str. 5 37075 Göttingen Tel.: 0551-396727
EINLEITUNG 4 Einleitung
Auch wenn in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte in der Erforschung des
Tourette-Syndroms (TS) erzielt werden konnten, ist die Entstehung des TS nach wie
vor nicht geklärt. So gelang es bisher auch nicht, einen Gendefekt zu finden, der dem
TS zugrunde liegt. Eine ursächliche Behandlung oder gar Heilung ist deshalb nicht
möglich. Nach wie vor erfolgt die Behandlung des TS rein symptomatisch, das heißt
entsprechend Art und Ausprägung der jeweiligen Symptome. Derzeit ist kein
Medikament bekannt, welches gleichzeitig alle Symptome des TS (wie Tic, Zwang,
hyperkinetische Störung) günstig beeinflusst.
Für alle zur Verfügung stehenden Medikamente gilt, dass sie nicht bei allen
Patienten wirksam sind und dass sie nicht zu einer Symptomfreiheit, sondern
„lediglich“ zu einer Abnahme der Beschwerden führen und darüber hinaus leider
nicht selten von Nebenwirkungen begleitet sind. Deshalb muß über eine Behandlung
unter Beachtung der speziellen Probleme des Einzelfalls entschieden werden.
Hierbei richtet sich die Art der Behandlung nach der Symptomkonstellation und –
schwere sowie nach der individuellen Beeinträchtigung durch das TS.
Da die Symptome des TS – und in besonderem Maße motorische und vokale Tics -
Schwankungen unterliegen, ist nach Beginn einer medikamentösen Therapie eine
Verlaufskontrolle notwendig. Bei Symptomzunahme muß ggf. eine Dosiserhöhung
erfolgen, bei Symptomabnahme kann eine Reduktion oder eventuell sogar eine
Beendigung der medikamentösen Therapie angezeigt sein.
Auch wenn die Behandlung des TS unverändert als schwierig und als nicht wirklich
befriedigend zu bezeichnen ist, können die derzeit verfügbaren Medikamente
dennoch bei vielen Patienten eine erhebliche Entlastung bewirken. Die
Unzulänglichkeiten der aktuellen Behandlungsmöglichkeiten sollten jedoch Anlaß
geben, nach neuen Therapiestrategien zu suchen.
Für die medikamentöse Behandlung von Kindern ergeben sich im Vergleich zur
Therapie von Erwachsenen keine grundlegenden Unterschiede. Einige der bei
Erwachsenen eingesetzten Medikamente sind jedoch für die Behandlung von
Kindern nicht zugelassen. Sollen sie dennoch zur Anwendung kommen, so ist dies
im Rahmen eines sogenannten individuellen Heilversuches möglich, welcher des
informierten Einverständnisses der Eltern und einer schriftlichen Zustimmung bedarf.
Selbstverständlich muß bei Kindern in geeigneter Weise eine Begleitung, Aufklärung
und psychosoziale Betreuung (durch Eltern, Lehrer und ggf. Therapeuten) in Hinblick
In dieser Übersicht werden die derzeit anerkannten Behandlungsmöglichkeiten des
Tourette-Syndroms dargestellt. Weiterhin werden neue Therapieansätze erwähnt, die
sich momentan noch in der Erprobung befinden. Diese Übersicht kann nicht als
Anleitung zur „Selbstbehandlung“ verstanden werden. Die Therapie sollte stets durch
einen in der Behandlung des TS erfahrenen Arzt überwacht werden.
Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass für viele (insbesondere erwachsene) Patienten
bereits die korrekte Diagnosestellung eine deutliche Entlastung darstellt. Mehrheitlich
wird eine umfassende Information über die Erkrankung als hilfreich empfunden. Auch
die Aufklärung des unmittelbaren sozialen Umfeldes (etwa der Lehrer oder
Berufskollegen) wirkt sich zumeist günstig aus. Schließlich stellt für viele der Kontakt
und Austausch mit anderen Personen mit Tourette-Syndrom, wie sie durch die
Tourette-Gesellschaft Deutschland e.V. (TGD) und deren Regionalgruppen sowie
das Internetangebot (www.tourette-gesellschaft.de) ermöglicht wird,
Behandlung von Tics
Motorische und vokale Tics stellen die Kernsymptome des TS dar. Eine
medikamentöse Therapie sollte dann erfolgen, wenn Tics stark ausgeprägt sind,
wenn einzelne Tics sehr störend sind (z.B. erhebliche Koprolalie = Aussprechen
obszöner Wörter), wenn Komplikationen drohen (beispielsweise infolge von
Selbstverletzungen) und bei deutlicher subjektiver Belastung (z.B. mit beruflichen
Als Substanzen der 1. Wahl gelten verschiedene Neuroleptika (sogenannte
Dopaminrezeptorblocker oder Dopaminantagonisten). Hier haben sich eine Vielzahl
von Substanzen wie Tiaprid (Tiapridex®), Pimozid (Orap®), Risperidon (Risperdal®),
Sulpirid (Dogmatil®), Haloperidol (Haldol®), aber auch andere klassische (ältere) und
atypische (neuere) Neuroleptika als wirksam erwiesen.
Offiziell von den entsprechenden Behörden in Deutschland zugelassen für die
Behandlung des Tourette-Syndrom bzw. von Tics ist jedoch lediglich Haloperidol
(Haldol®). Dies war das erste Medikament, das vor etwa 40 Jahren erfolgreich in der
Therapie von Tics eingesetzt wurde. Haloperidol (Haldol®) gilt seither als effektiv, ist
jedoch mit relativ vielen Nebenwirkungen verbunden und wird daher in Deutschland
nur noch selten zur Behandlung von Tics eingesetzt. In den USA ist von den dortigen
Behörden neben Haloperidol (Haldol®) auch Pimozid (Orap®) für die Therapie des
Eine Einschätzung, welches der verschiedenen Medikamente am effektivsten bzw.
nebenwirkungsärmsten ist, ist nicht ohne weiteres möglich. Grund hierfür ist in erster
Linie die unzureichende Studienlage. Während für die älteren Medikamente (z.B.
Haloperidol (Haldol®), Pimozid (Orap®)) zahlreiche Studien zu Wirkung und
Verträglichkeit durchgeführt wurden, liegen für fast alle neueren Medikamente (mit
Ausnahme von Risperidon (Risperdal®) lediglich Fallberichte (mit Beschreibungen
einzelner Patienten) oder kleinere Studien (mit nur geringen Fallzahlen von 10 – 20
Nach eigener Einschätzung hat sich in den vergangenen Jahren – mit der
Markteinführung der neueren atypischen Neuroleptika – die Verschreibungspraxis in
Deutschland deutlich gewandelt. Da diese neueren Medikamente in der Regel
nebenwirkungsärmer sind als die sogenannten klassischen (älteren) Neuroleptika,
werden die „Atypika“ gegenwärtig oft verordnet – auch wenn die Wirkung bei TS
bisher nicht ausreichend in Studien untersucht wurde. Anzumerken ist an dieser
Stelle, dass Neuroleptika nicht etwa für die Therapie des TS, sondern für die
Behandlung von psychotischen Erkrankungen wie beispielsweise Schizophrenien
Nachdem sich das Neuroleptikum Haloperidol (Haldol®) als wirksam in der Therapie
von Tics erwiesen hatte, wurden seither zahlreiche neuere Neuroleptika relativ rasch
nach Markeinführung auch bei Patienten mit TS – trotz fehlender Zulassung –
eingesetzt, um Wirksamkeit und Verträglichkeit bei diesen Patienten zu prüfen.
Wegen fehlender ökonomischer Interessen ist nicht zu erwarten, dass diese neueren
Substanzen in den nächsten Jahren in großen, von der Pharmaindustrie unterstützen
Studien bei Patienten mit TS untersucht werden. Daraus folgt, dass sich die
Behandlung des TS gegenwärtig nicht nur auf wissenschaftliche Erkenntnisse,
sondern auch auf persönliche Erfahrungen stützt. Dies spiegelt sich beispielsweise
darin wieder, dass führende TS-Experten sehr unterschiedliche Empfehlungen zur
Therapie von Tics geben. Während der amerikanische Kinderneurologe H. Singer als
Substanzen der 1. Wahl die in den USA zugelassenen klassischen Neuroleptika
Haloperidol (Haldol®) und Pimozid (Orap®) empfiehlt, favorisiert der amerikanische
Nervenarzt J. Jankovic eine Behandlung mit dem klassischen Neuroleptikum
Fluphenazin (Dapotum®, Lyogen®) und schlägt als Alternativen Tetrabenazin
(Nitoman®) und verschiedene atypische Neuroleptika vor. Die englische Psychiaterin
M. Robertson empfiehlt darüber hinaus Sulpirid (Dogmatil®) und Clonidin
(Catapresan®), während andere Ärzte auch Guanfacin (Estulic®), Clonazepam
(Rivotril®) und Baclofen (Lioresal®) als Medikamente der 1. Wahl ansehen.
Die Auswertung einer internationalen, in Kanada geführten Datenbank anhand der
Befunde von 3.500 Tourette-Patienten aus 22 Ländern im Jahre 2000 ergab, dass
Clonidin (Catapresan®) das weltweit am häufigsten verordnete Medikament zur
Behandlung von Tics ist. In absteigender Häufigkeit wurden darüber hinaus
Haloperidol (Haldol®), Pimozid (Orap®) und Risperidon (Risperdal®) verschrieben.
Es ist anzunehmen, dass eine aktuelle Auswertung eine höhere
Verschreibungsquote der neueren Neuroleptika ergeben würde. Ferner ist zu
beachten, dass in diese Auswertung zwar auch Patienten aus zwei Zentren in
Deutschland eingingen, dass mehrheitlich jedoch Patienten aus Nordamerika
aufgenommen wurden. Die Studie verdeutlichte, dass die Verschreibungspraxis in
unterschiedlichen Ländern nicht nur hinsichtlich der Wahl des Medikamentes stark
schwankt, sondern auch hinsichtlich der Verschreibungshäufigkeit: während im Mittel
60% aller in dieser Untersuchung erfassten Patienten jemals mit einem Medikament
zur Verminderung der Tics behandelt worden waren, lag die Verschreibungsquote in
den USA bei 74%, in Kanada dagegen nur bei 47%.
In einer eigenen Studie aus dem Jahre 2004 bei 480 Patienten mit Tourette-
Syndrom, die sich zwischen 1995 und 2004 in unserer Klinik ambulant vorstellten,
fanden wir folgende Ergebnisse zur aktuellen Medikation: zum Zeitpunkt der
Erstvorstellung waren 180 der 480 Patienten (37,5%) medikamentös behandelt.
Davon nahmen 81 Patienten (16,9%) Tiaprid ein. Dies stellte das mit Abstand am
häufigsten verordnete Medikament dar, gefolgt von anderen typischen und
atypischen Neuroleptika wie Orap (Pimozid®) (5,0%), Sulpirid (Dogmatil®) (1,3%),
anderen klassischen (2,7%) und atypischen Neuroleptika (1,9%). Zu betonen ist,
dass diese Zahlen nicht etwa die Verschreibungspraxis in der Tourette-Sprechstunde
der Medizinischen Hochschule Hannover widerspiegeln, sondern die Medikation zum
Zeitpunkt der Erstvorstellung in unserer Ambulanz aufzeigen.
Diesen Untersuchungen, aber auch unseren eigenen Erfahrungen zufolge wurden in
Deutschland in der vergangenen Jahren am häufigsten Tiaprid (Tiapridex®), Pimozid
(Orap®), Sulpirid (Dogmatil®) sowie die neueren atypischen Neuroleptika wie
Risperidon (Risperdal®) verordnet. Während Tiaprid (Tiapridex®) in Deutschland bei
Kindern unverändert als Substanz der 1. Wahl gilt, so hat sich eigener Einschätzung
zu Folge die Behandlungspraxis bei Erwachsenen gewandelt: Neben Sulpirid
(Dogmatil®) werden weniger die klassischen Neuroleptika wie Pimozid (Orap®)
verordnet, sondern viel häufiger die neueren atypischen Neurolepika (zu Einzelheiten
Dopaminantagonisten (Neuroleptika)
Neuroleptika gelten bis heute als Medikamente der 1. Wahl in der Therapie von Tics.
Für nahezu alle, bisher untersuchten Substanzen dieser Medikamentengruppe
konnte eine Wirkung auf Tics gezeigt werden. Nur wenige Studien untersuchten
hingegen zwei Neuroleptika im Vergleich hinsichtlich Effektivität und Verträglichkeit.
Bei der Entscheidung, welches Medikament eingesetzt werden soll, spielt die
Nebenwirkungsrate eine bedeutende Rolle, weil sich nach bisherigem Kenntnisstand
viele Medikamente weniger in der Wirksamkeit als in der Nebenwirkungsrate
Bei Kindern gilt Tiaprid (Tiapridex®) – zumindest in Deutschland - als Medikament
der 1. Wahl. Obwohl dieses Medikament nur in wenigen Studien untersucht wurde,
und in anderen Ländern wie USA, Kanada und England gar nicht auf dem Markt ist,
kann dieser „deutsche Sonderweg“ wegen der langjährigen günstigen Erfahrungen in
der Kinder- und Jugendpsychiatrie als gut begründet angesehen werden. Tiaprid
(Tiapridex®) scheint im Vergleich mit anderen Neuroleptika wie Pimozid (Orap®) und
Haloperidol (Haldol®) etwas schwächer wirksam zu sein. Entsprechende
Vergleichsuntersuchungen wurden aber bisher nicht durchgeführt. Sollte daher die
Wirkung von Tiaprid (Tiapridex®) unzureichend sein, wird der Wechsel auf ein
anderes Neuroleptikum wie etwa Risperidon (Risperdal®) oder Sulpirid (Dogmatil®)
empfohlen. Risperdal (Risperdal®) sollte der Verzug gegeben werden, wenn neben
den Tics auch Verhaltensauffälligkeiten wie ein Aufmerksamkeitsdefizit-
Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) oder eine Störung des Sozialverhaltens bestehen,
da sich diese Substanz auch hierbei als wirksam erwiesen hat.
In der Behandlung von Erwachsenen empfehlen wir derzeit neben dem klassischen
Neuroleptikum Sulpirid (Dogmatil®) in erster Linie neuere atypische Neuroleptika wie
Risperidon (Risperdal®), Olanzapin (Zyprexa®), Amisulprid (Solian®), Quetiapin
(Seroquel®), Ziprasidon (Zeldox®) und seit wenigen Monaten auch Aripiprazol
(Abilify®). Für alle diese neueren Substanzen liegen entweder Einzelfallberichte oder
kleinere Studien vor, die eine Wirksamkeit annehmen lassen. Größere Studien oder
Vergleichsuntersuchungen der Präparate untereinander fehlen jedoch. Am besten
wurde bisher Risperidon (Risperdal®) untersucht. Welchem der Medikamente im
Einzelfall der Verzug zu geben ist, unterliegt nicht zuletzt persönlichen Erfahrungen.
Nachdem wir über viele Jahre gute Erfahrungen mit Sulpirid (Dogmatil®) gemacht
hatten, haben wir in jüngster Zeit häufig das mit Sulpirid (Dogmatil®) chemisch
verwandte Amisulprid (Solian®) eingesetzt. Unseren Erfahrungen zufolge scheint
Amisulprid (Solian®) bei vergleichbarer Wirkung eine etwas geringere
Nebenwirkungsrate aufzuweisen als Sulpirid (Dogmatil®). Sulpirid (Dogmatil®)
scheint nicht nur zu einer Verminderung von Tics zu führen, sondern zudem günstig
auf andere Symptome wie Zwang, Aggression und depressive Verstimmung zu
Einzelfallberichte sprechen momentan für eine gute Wirkung und Verträglichkeit von
Aripiprazol (Abilify®). Studien fehlen jedoch auch für diese Substanz noch gänzlich.
Olanzapin (Zyprexa®) wird – trotz wohl ebenfalls guter Tic-Verminderung – wegen
der häufigen Nebenwirkung der Gewichtszunahme seltener eingesetzt. Das
atypische Neuroleptikum Clozapin (Leponex®) hingegen hat sich in der Therapie von
Tics als unwirksam erwiesen; zudem kann es schwere Nebenwirkungen mit
Metoclopramid (Paspertin®), ein Dopaminrezeptorblocker, der überwiegend in der
Therapie von Übelkeit und Erbrechen eingesetzt wird, scheint ebenfalls zu einer
gewissen Tic-Verminderung zu führen. Im klinischen Alltag wird dieses Medikament
nur selten eingesetzt. Tetrabenazin (Nitoman®), das ebenfalls auf das
Dopaminsystem des Gehirns einwirkt - jedoch nicht wie die Dopaminantagonisten
postsynaptisch die Rezeptoren (Bindungsstellen) blockiert, sondern zu einer
Entleerung der präsynaptisch gelegenen Doapminspeicher führt - ist nach einigen
Berichten auch zur Behandlung von Tics geeignet, verursacht jedoch häufiger als
Bestehen ausgeprägte Tics, die nicht durch eine Behandlung mit o.g. Substanzen
gebessert werden können, so sollte in jedem Fall auch heute noch ein
Therapieversuch mit dem klassischen Neuroleptikum Pimozid (Orap®) erfolgen, dass
vermutlich etwas nebenwirkungsreicher als die neueren Neuroleptika ist, aber
zumeist eine gute Tic-vermindernde Wirkung aufweist. Haloperidol (Haldol®)
hingegen wird zumindest in Deutschland – trotz bestehender Zulassung – nur noch
sehr selten zur Behandlung von Tics eingesetzt, da es häufig deutliche
Die klinische Erfahrung lehrt, dass Neuroleptika bei jedem einzelnen Patienten
unterschiedlich wirken und dies sowohl hinsichtlich des positiven Effektes als auch
der Nebenwirkungen. Eine Vorhersage ist hierzu nicht möglich. Bei einer kleinen Zahl
von Patienten führen Neuroleptika zu keiner Verminderung von Tics, in Einzelfällen
wurde sogar eine Verschlechterung beobachtet. Bei fehlender Wirkung (oder
Unverträglichkeit) eines der genannten Medikamente kann es im klinischen Alltag
sinnvoll sein, dieses durch ein zweites oder gar drittes Medikament zu ersetzen. Alle
Neuroleptika wirken zwar hemmend auf das Dopaminsystem ein, sie unterscheiden
sich aber zum Teil erheblich in ihrer jeweiligen Wirkung auf die verschiedenen
Zu Beginn der Behandlung sollte in der Regel nur ein Medikament gegeben werden,
um dessen Wirkung und Verträglichkeit genau beurteilen zu können. Die Behandlung
sollte niedrig dosiert begonnen und die Dosis nach und nach langsam je nach
Wirkung und Verträglichkeit gesteigert werden. Auf die Zahlenangabe von
Dosierungen wird an dieser Stelle bewusst verzichtet, da die Dosierung individuell je
nach Verträglichkeit, Wirksamkeit, klinischer Symptomatik – aber auch unter
Berücksichtigung von Alter und Körpergewicht – erfolgen muß. Als Beispiel sei
genannt, dass einzelne Patienten bereits bei einer Gabe von 2 mg Pimozid (Orap®)
starke Nebenwirkungen verspüren, während andere Dosen bis 12 mg
vergleichsweise gut vertragen. Ferner muß bei einer Behandlung berücksichtigt
werden, dass sich Tics im Verlauf oft wandeln. Dem muß durch Anpassung der Dosis
Rechnung getragen werden. Dosisänderungen sollten jedoch nicht abrupt und nur in
größeren Zeitabständen erfolgen. Derzeit ist noch ungeklärt, ob einer Dauertherapie
der Vorzug vor einer intermittierenden Behandlung mit Therapiepausen zu geben ist.
Eine Untersuchung mit dem Medikament Pimozid (Orap®) ergab einen leichten
Vorteil für eine kontinuierliche Behandlung.
Dopaminantagonisten verursachen häufig Nebenwirkungen. Zwar bestehen für die
einzelnen Medikamente Unterschiede hinsichtlich Häufigkeit und Schwere dieser
Nebenwirkungen. Die Art der Nebenwirkungen ist aber sehr ähnlich. Am häufigsten
kommt es während der Behandlung zu Müdigkeit, Schwindel, Antriebsarmut,
Konzentrationsminderung, Appetitsteigerung und Gewichtszunahme. Ferner können
bei Männern Impotenz und bei Frauen eine Störung der Menstruationsblutung
eintreten. Sehr selten kommt es bei Männern zu einer Vergrößerung der Brustdrüse
und bei Frauen zu Milchfluß. Akutdyskinesien – dies sind verkrampfende
Bewegungen besonders im Kopfbereich – treten selten und insbesondere bei
raschen Dosisänderungen ein. Parkinsonähnliche Symptome mit Muskelsteifigkeit,
Zittern und Bewegungsarmut kommen meist nur unter hohen Dosierungen vor.
Ähnliches gilt für eine allgemeine Bewegungsunruhe (Akathisie). Spätdyskinesien –
dies sind unwillkürliche Bewegungen, die auch lange nach Beendigung der
Behandlung noch eintreten können – gelten bei Tourette-Patienten als Rarität und
stellen daher nach allgemeiner Einschätzung kein Problem dar. Einzelne der
Substanzen rufen selten eine Stimmungsverschlechterung, Ängste und aggressives
Verhalten hervor. Pimozid (Orap®), aber auch andere Neuroleptika, können sehr
selten EKG-Veränderungen verursachen, weshalb eine entsprechende Kontrolle
empfohlen wird. Fast alle genannten Nebenwirkungen sind dosisabhängig, das heißt,
sie sind unter höherer Dosis häufiger und stärker und bilden sich nach
Dosisreduktion oder Therapieende zurück.
Die Kombination verschiedener Dopaminblocker stellt nur in Ausnahmefällen eine
sinnvolle Behandlung dar. Jedoch können Dopaminblocker mit anderen
Medikamenten kombiniert werden wie Serotonin-Wiederaufnahmehemmern oder
Clonidin
Neben Dopamin-Antagonisten stehen einige wenige andere Medikamente zur
Behandlung von Tics zur Verfügung. Ihr derzeitiger Stellenwert ist jedoch deutlich
geringer. Clonidin (Catapresan®) und Guanfacin (Estulic®) (sogenannte α-2-
Adrenoagonisten) beeinflussen nicht das dopaminerge, sondern das adrenerge
System des Gehirns. Beide Substanzen haben vermutlich eine positive Wirkung auf
Tics, die jedoch deutlich geringer ist, als die Wirkung von Dopaminblockern. Des
weiteren scheinen sie Symptome des Aufmerksamkeitsdefizit-
Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) zu bessern. Als unerwünschte Wirkungen sind
neben einer Blutdrucksenkung Müdigkeit, Schwindel, Mundtrockenheit, Depression
und Kopfschmerzen zu nennen. Guanfacin (Estulic®) gilt als etwas
nebenwirkungsärmer als Clonidin (Catapresan®).
Weitere Medikamente und experimentelle Therapien
Angesichts der nicht selten unbefriedigenden Ergebnisse in der Behandlung von Tics
mit diesen etablierten Medikamenten werden derzeit andere Substanzen erforscht.
Die nachfolgend genannten Therapien müssen noch als experimentell bezeichnet
werden. Zum Teil handelt es sich hierbei um Medikamente, die in der Behandlung
anderer Erkrankungen etabliert sind, deren Stellenwert in der Behandlung des TS
jedoch noch nicht abschließend geklärt ist. Einige andere Substanzen werden erst
seit kurzer Zeit überhaupt in der Medizin angewandt. Da meist nur kleinere Studien
mit wenigen Patienten durchgeführt wurden und deren Ergebnisse zudem zum Teil
widersprüchlich sind, ist eine abschließende Beurteilung derzeit noch nicht möglich.
GABAerge Substanzen
GABA (Gamma-Amino-Buttersäure) ist der am stärksten hemmend wirkende
Botenstoff des Gehirns. GABAerg wirksame Medikamente fördern daher dieses
hemmende System. Diazepam (Valium®) scheint zu einer Abnahme von Tics und
anderen Symptomen zu führen. Wegen des hohen Risikos einer Abhängigkeit kann
dieses Medikament jedoch nicht empfohlen werden. Clonazepam (Rivotril®), ein
Medikament, das sowohl auf das GABAerge als auch auf das adrenerge System
wirkt, verbessert kleineren Untersuchungen zufolge verschiedene Symptome des TS
einschließlich Tics. Zudem kann es bei starker Symptomausprägung (auch
autoaggressivem Verhalten) sinnvoll mit Neuroleptika und Serotonin-
Wiederaufnahmehemmern kombiniert werden. Als häufigste Nebenwirkung
verursacht Clonazepam (Rivotril®) Müdigkeit und Schwindel.
Auch Baclofen (Lioresal®) scheint nach einer jüngeren Untersuchung zu einer
Symptomverminderung mit Verbesserung des Allgemeinbefindens zu führen.
Botulinumtoxin
Botulinumtoxin, ein von Bakterien gebildetes Gift, das eine Muskellähmung
hervorruft, erwies sich in kleineren Untersuchungen als wirksam in der Behandlung
von Tics. Da es in einzelne Muskeln injiziert werden muß, eignet es sich nur zur
Behandlung umschriebener Tics und dies vor allem im Gesichts- und Kopfbereich.
Einer größeren Untersuchung zufolge ist es besonders bei sogenannten „dystonen
Tics“ wirksam, d.h. bei Tics, die einen langsamen und verdrehenden Charakter
haben (und nicht rasch und abrupt sind). Es liegen zudem Mitteilungen über eine
erfolgreiche Behandlung vokaler Tics (einschließlich der Koprolalie) vor durch eine
Botulinumtoxin-Injektion unmittelbar in die Stimmlippenmuskeln. Die Wirkung von
Botulinumtoxin hält im Mittel 3-4 Monate an. Die Injektionen müssen nach dieser Zeit
wiederholt werden. Als Nebenwirkungen sind in erster Linie eine unerwünscht starke
Muskellähmung mit vorübergehender Muskelschwäche – bei Anwendung im Bereich
des Kehlkopfes mit Heiserkeit und Schluckstörungen – zu nennen.
Dopaminagonisten
In den letzten Jahren wurden einige Studien veröffentlicht, wonach
überraschenderweise ein Dopaminagonist (Pergolid (Parkotil®)) – also eine
Substanz, die das Dopaminsystem fördert und nicht (wie Neuroleptika) hemmt und in
der Therapie der Parkinson-Krankheit etabliert ist - ebenfalls effektiv in der Tic-
Behandlung ist. Es wurde vermutet, dass die positive Wirkung auf eine Interaktion mit
Dopamin-Autorezeptoren zurückzuführen sei. Dies würde erklären, warum es in
niedriger Dosis zu einer Tic-Verminderung, in hoher Dosis aber zu einer Zunahme
der Tics kommen kann. Auch wurde über einen positiven Behandlungseffekt durch L-
Dopa – ein ebenfalls in der Parkinsontherapie gebräuchliches Medikament –
berichtet. Demgegenüber zeigte ein weiterer Dopaminagonist (Talipexol) einer
kleineren Studie zufolge keine positiven Effekte auf Symptome des TS.
Opiatantagonisten
Opiatantagonisten hemmen das Opioid-System des Gehirns. Kleineren
Untersuchungen zufolge führen die Opiatantagonisten Naloxon (Narcanti®), das
jedoch nur über die Vene verabreicht werden kann, und Naltrexon (Nemexin®) zu
einer Verminderung von Tics und autoaggressivem Verhalten.
Ferner gibt es Hinweise, dass Nikotin (als Pflaster oder als Kaugummi angewandt) zu
einer Tic-Reduktion führt. Auch wurde berichtet, dass bei einer Behandlung mit
Neuroleptika durch die Zugabe von Nikotin die Dosis des Neuroleptikums vermindert
werden kann. Jedoch traten bei vielen Patienten nikotinbedingte Nebenwirkungen ein
wie bitterer Geschmack, Übelkeit oder gar Erbrechen. Eine Umfrage unter TS-
Patienten ergab, dass nur wenige Patienten eine Tic-Reduktion während des
Rauchens von Nikotinzigaretten empfanden.
Zwar deuteten kleinere Untersuchungen darauf hin, dass auch der Nikotinantagonist
Mecamylamin (also eine Substanz mit gegenteiligem Effekt zum Nikotin) zu einer
Abnahme von Tics führt. Einer neueren, kontrollierten Studie zufolge, konnte aber
kein Effekt dieses Medikamentes auf das TS nachgewiesen werden.
Cannabis sativa
Es liegen anekdotische Mitteilungen vor, wonach bei einzelnen Patienten der
Konsum von Cannabis (Marihuana, Haschisch) zu einer Abnahme von Tics und
Verhaltensauffälligkeiten führt. In einer systematischen Befragung gaben etwa 80%
derjenigen Patienten, die Erfahrungen mit Cannabis hatten, an, dass der Konsum
von Cannabis einen günstigen Effekt auf das TS habe. In zwei kleineren
kontrollierten Studien führte die Behandlung mit delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC,
Dronabinol), dem Hauptwirkstoff der Cannabispflanze, zu einer signifikanten
Abnahme von motorischen und vokalen Tics. Als Nebenwirkungen traten
gelegentlich Müdigkeit, Benommenheit und Schwindel, selten Angst und Unruhe ein.
Bei einzelnen Patienten führte eine Kombinationsbehandlung mit THC und einem
Neuroleptikum zu einer befriedigenden Verminderung der Tics. Bei Erwachsenen
kann THC daher als Alternative gesehen werden, wenn zuvor Behandlungsversuche
mit Neuroleptika nicht zu einer Verminderung der Tics oder starken Nebenwirkungen
führten. Bei Kindern sollte THC nicht angewandt werden, da es bei gesunden
Cannabiskonsumenten Hinweise darauf gibt, dass ein sehr junges Alter zum Beginn
des Konsums möglicherweise im Erwachsenenalter zu Störungen von Gedächtnis,
Aufmerksamkeit und Konzentration führen könnte.
Antibiotika und Immuntherapie
Seit wenigen Jahren wird diskutiert, ob bei einem Teil der Tourette-Patienten
Infektionen mit Bakterien (in erster Linie Streptokokken) und Viren bzw. daraus
resultierende Immunvorgänge krankheitsauslösend oder –unterhaltend sind. Aus
dieser Vermutung resultieren Therapieansätze mit Antibiotika und verschiedenen in
das Immunsystem eingreifenden Substanzen. Nach allgemeiner Überzeugung sollten
derartige Behandlungen derzeit nur im Rahmen klinischer Studien erfolgen, um
Risiken kalkulieren und den Therapieeffekt genau festlegen zu können (näheres
Neurochirurgie
Nur Einzelmitteilungen liegen über operative Behandlungen des TS vor. Im Rahmen
derartiger Operationen wurden mehrheitlich eng umschriebene Areale in
verschiedenen Hirnstrukturen (Thalamus, Cingulum, Stirnhirn, Kleinhirn) zerstört, um
schwerste, medikamentös nicht beeinflussbare Tics und andere Symptome des TS
(z.B. schwerste Zwänge oder Selbstverletzungen) zu vermindern. Weltweit gibt es in
der wissenschaftlichen Literatur von 1960 bis heute gut 20 Berichte über insgesamt
65 Patienten, bei denen solche läsionellen („zerstörenden“) Hirnoperationen
durchgeführt wurden. Auch wenn in einzelnen dieser Berichte deutliche
Symptomverbesserungen beschrieben wurden, so führten einige dieser Eingriffe zu
schweren, zum Teil bleibenden Nebenwirkungen oder sie hatten keinerlei Effekt.
Solche Operationen müssen derzeit als Ausnahmebehandlung bzw. als
experimentelle Therapie betrachtet werden, zumal nicht einmal Klarheit über den
Im Jahre 1999 wurde erstmals über eine erfolgreiche Behandlung eines einzelnen
Patienten mit tiefer Hirnstimulation („deep brain stimulation, DBS“) berichtet. Bei
dieser Methode, die sich in der Behandlung anderer Bewegungsstörungen (wie etwa
der Parkinson-Krankheit) bewährt hat, werden Elektroden in das Gehirn gelegt, die
durch eine elektrische Stimulation zu einer Unterbrechung der Hirnfunktion an
umschriebener Stelle führt. Die Zahl der veröffentlichten Behandlungen ist derzeit
noch sehr gering, die Zahl der weltweit insgesamt durchgeführten Implantationen bei
TS kann auf etwa 20–30 geschätzt werden. Auch bei dieser Operationsmethode ist
gegenwärtig unklar, welches der optimale Stimulationspunkt im Gehirn ist. Bisher
wurden Stimulationsbehandlungen im Thalamus, im Globus pallidus und im Nucleus
accumbens durchgeführt. In den Niederlanden sind kontrollierte Studien geplant, um
die Wirksamkeit dieser Behandlungsform bei TS besser beurteilen zu können. Aktuell
kann nur in ausgewählten Einzelfällen bei sehr schwerem TS, das durch etablierte
Therapien nicht gebessert werden kann, eine derartige Hirnstimulation in Betracht
Nichtmedikamentöse Therapien
Nichtmedikamentöse Behandlungen spielen derzeit eine untergeordnete Rolle in der
Therapie von Tics. Die tiefenpsychologisch-orientierte Psychotherapie ebenso wie
die Psychoanalyse müssen als ungeeignet in der Therapie von Tics eingestuft
werden, da die Ursache von Tics organisch und nicht psychogen ist.
Verhaltenstherapeutische Ansätze werden hinsichtlich ihres Effektes kontrovers
diskutiert. Inwieweit das „Habit reversal training“ (Gewohnheits-Umkehr-Training) –
eine verhaltenstherapeutische Technik, bei der die Patienten versuchen, statt des
Tics eine andere Bewegung zu vollführen bzw. Tics umzuleiten – effektiv in der
Behandlung von Tics ist, muß mit Hilfe weiterer Studien überprüft werden. Für Kinder
ist dieses aufwendige Verfahren nicht geeignet. Entspannungsverfahren (wie
Autogenes Training oder Progressive Muskelrelaxation) können allenfalls eine
kurzanhaltende Symptomreduktion erzielen, die vermutlich durch eine unspezifische
Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens zu erklären ist.
Für viele Menschen mit TS stellt sich die Frage, ob Tics durch
Ernährungsgewohnheiten positiv oder negativ beeinflusst werden können. Bisher
liegen keine Studien vor, die hierzu eine Antwort geben. Einer Umfrage zufolge
scheint die überwiegende Mehrzahl der TS-Betroffenen keinen Einfluß von
bestimmten Lebensmitteln auf ihre Tics wahrzunehmen. Einzig Koffein (in Kaffee und
Cola) wurde von einer größeren Personengruppe als Tic-verschlechternd eingestuft.
Dies ist vermutlich auf den im Gehirn stimulierenden Effekt zurückzuführen.
Demgegenüber berichten viele Patienten, dass der Konsum von Alkohol zu einer
Abschließend sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass Tics
nahezu immer stark situationsabhängig sind, so dass verschiedenste
Umgebungsfaktoren Einfluß auf die Tic-Ausprägung nehmen können. Aus diesem
Grund und wegen des stets fluktuierenden Verlaufs ist es für das TS in besonderer
Weise zu fordern, dass neue Therapieansätze in sogenannten kontrollierten Studien
überprüft werden, die nicht nur eine genügend große Patientenzahl einschließen,
sondern auch eine Placebokontrolle – also den Vergleich mit einem
Therapie von Verhaltenssymptomen im Rahmen des TS
Für die Diagnose des Tourette-Syndroms sind motorische und vokale Tics, nicht aber
das Bestehen von Verhaltensauffälligkeiten notwendig. Seit vielen Jahren ist jedoch
bekannt, dass bei Tourette-Patienten häufig gleichzeitig verschiedene
Verhaltenssymptome bestehen. Oft sind diese „Begleitsymptome“ nur schwach
ausgeprägt und bedürfen keiner Therapie. Jedoch besteht bei manchen Patienten
eine komplexe Symptomkonstellation mit vielerlei Symptomen in klinisch relevanter
Ausprägung. Im Einzelfall können derartige Verhaltensauffälligkeiten sogar das
Hauptproblem darstellen, während die Tics dem gegenüber in den Hintergrund
treten. Hinsichtlich der Behandlung derartiger Verhaltenssymptome gilt in gleicher
Weise, dass eine Therapie nur bei deutlicher Symptomausprägung und sich daraus
ergebenden Schwierigkeiten erfolgen sollte.
Zwangsgedanken und –handlungen
Zwänge stellen vermutlich die häufigste Verhaltensauffälligkeit in Zusammenhang mit
dem TS dar. Mehrheitlich handelt es sich jedoch um nicht behandlungsbedürftige
Zwangssymptome und nur selten um eine Zwangskrankheit. Die Therapie von
Zwängen im Rahmen des TS erfolgt nach den gleichen Richtlinien wie die
Behandlung der Zwangserkrankung ohne TS. Es ist jedoch bekannt, dass sich die im
Rahmen des TS bestehenden Zwänge in mancher Hinsicht von jenen bei Personen
mit einer Zwangskrankheit ohne Tics unterscheiden.
Für die Behandlung von Zwängen stehen zwei verschiedene Therapieansätze zur
Verfügung: sowohl die Verhaltenstherapie als auch die medikamentöse Behandlung
haben sich in zahlreichen Studien als effektiv erwiesen. Es gibt Hinweise, dass die
Kombination dieser beiden Verfahren die günstigsten Ergebnisse liefert.
Die medikamentöse Behandlung erfolgt in erster Linie mit sogenannten Serotonin-
Wiederaufnahmehemmern (SRI). Dies sind Substanzen, die im Gehirn die Wirkung
des Botenstoffs Serotonin verstärken. Es wird angenommen, dass dieser Botenstoff
an der Entstehung von Zwangssymptomen beteiligt ist. Als wirksam haben sich
zahlreiche Substanzen wie Clomipramin (Anafranil®) – ein tricyclisches
Antidepressivum – sowie verschiedene selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
(SSRI) wie Fluoxetin (Fluctin®), Fluvoxamin (Fevarin®), Sertralin (Zoloft®), Paroxetin
(Seroxat®) und Citalopram (Cipramil®) erwiesen. Die Nebenwirkungsrate scheint
unter Clomipramin (Anafranil®) - einem nicht selektiven Serotonin-
Wiederaufnahmehemmer – höher zu sein als unter den anderen genannten
Substanzen. Hinsichtlich des positiven Effektes bestehen vermutlich keine
grundlegenden Unterschiede. Als häufigste Nebenwirkungen wurden Durchfall,
Übelkeit, Kopfschmerzen, Müdigkeit und Benommenheit beobachtet. Clomipramin
(Anafranil®) kann zudem zu Verstopfung, vermehrtem Schwitzen, Mundtrockenheit
Alle genannten Substanzen sind gleichzeitig auch zur Behandlung von Depressionen
geeignet. Zudem können sie Angstsymptome vermindern. Nach einzelnen Berichten
wirken manche dieser Medikamente auch günstig bei aufbrausendem Verhalten und
Führt die alleinige Gabe eines Serotonin-Wiederaufnahmehemmers nicht zu einer
Reduktion der Zwangssymptome, so kann versucht werden, die Wirksamkeit dieser
Medikamente durch eine Kombination mit anderen Substanzen (etwa Neuroleptika,
Buspiron (Bespar®), Clonazepam (Rivotril®) oder auch Lithium) zu steigern. Nach
Einzelerfahrungen kann auch die alleinige Behandlung mit Buspiron (Bespar®) und
Clonazepam (Rivotril®) zu einer Reduktion von Zwängen führen.
Bestehen bei einem Patienten neben klinisch bedeutsamen Zwängen auch andere
Symptome (z. B. Tics, Autoaggression (Selbstverletzung) oder ADHS) in relevanter
Ausprägung, so kann (oder muß) eine Kombinationsbehandlung erfolgen.
Beispielsweise ist dann die Kombination eines Serotonin-Wiederaufnahmehemmers
mit Neuroleptika, Clonazepam (Rivotril®) oder Stimulanzien (Methylphenidat
(Ritalin®, Medikinet®, Equasym®)) möglich. Die Kombination eines Neuroleptikums
mit einem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer kann sowohl zu einer verbesserten
Behandlung der Tics als auch der Zwänge führen. Bei derartigen
Kombinationsbehandlungen muß jedoch auch das erhöhte Risiko von
In der Behandlung mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern ist zu beachten, dass die
Dosierung einschleichend erfolgen soll, um das Eintreten von Nebenwirkungen zu
vermindern. Die positive Wirkung dieser Medikamente auf Zwangssymptome tritt oft
verzögert, dass heißt erst nach Wochen, ein. Daher sollte die Therapie ausreichend
lange (etwa 3 Monate) erfolgen, bevor ein Medikament wegen fehlender Wirkung
wieder abgesetzt wird. Bei guter Verträglichkeit und fehlendem Effekt sollte die Dosis
in Absprache mit dem behandelnden Arzt kontinuierlich gesteigert werden.
Depressive Symptome sprechen häufig auf niedrigere Dosierungen an als
In Einzelpublikationen wird über Ergebnisse einer operativen Therapie von Zwängen
berichtet. Bisher wurden verschiedene Operationsverfahren angewandt, bei denen
jeweils in einem eng umschriebenen Hirnareal eine kleine Läsion gesetzt wurde.
Alternativ kann – wie auch bei Tics – neuerdings eine tiefen Hirnstimulation in
Betracht gezogen werden. Eine derartige Behandlung sollte jedoch nur in extremen
Ausnahmefällen mit stärksten therapieresistenten Zwängen (beispielsweise mit
lebensbedrohlichen Selbstverletzungen) erwogen werden. Eine abschließende
Beurteilung derartiger Eingriffe ist derzeit wegen ungenügender Studien noch nicht
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperkinetisches Syndrom (ADHS)
Das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) (englisch „attention
deficit hyperactive disorder“, ADHD) stellt ebenfalls ein häufiges Begleitsymptom im
Rahmen des TS dar. Auch hier gelten die gleichen Therapierichtlinien wie bei dieser
Störung, die ohne TS auftritt. Das Vollbild des ADHS umfasst die Symptome
Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsstörung und Impulskontrollstörung. Es gilt als
allgemein anerkannt, dass Stimulanzien wie Methylphenidat (Ritalin®, Medikinet®,
Equasym®) und D-Amphetamin sowohl in der Behandlung der Hyperaktivität als
auch der Aufmerksamkeitsstörung und der Impulsivität wirksam sind. Stimulanzien
werden daher als Substanzen der 1. Wahl in der Behandlung des ADHS angesehen.
Im Gehirn führen sie zu einer erhöhten Verfügbarkeit der Botenstoffe Dopamin und
Seit kurzem ist Methylphenidat auch in Retardform (Concerta®) (d.h. in einer lang
wirkenden Zubereitung) erhältlich. Dieses Medikament stellt eine
Behandlungsalternative dar, wenn beispielsweise starke Nebenwirkungen durch den
raschen Wirkbeginn bzw. das rasche Wirkende von nicht retardiertem
Methylphenidat auftreten. Auch eine Kombination von Concerta® mit nicht
retardiertem Methylphenidat ist möglich.
Als Nebenwirkungen ruft Methylphenidat (Ritalin®, Medikinet®, Equasym®) am
häufigsten Einschlafstörungen, Appetitminderung, Beschwerden des Magen-Darm-
Traktes und Stimmungsschwankungen hervor. Es ist von besonderer Relevanz im
Hinblick auf das TS, dass verschiedene Studien Hinweise darauf erbrachten, dass
Stimulanzien zu einer Provokation oder Verschlechterung vorbestehender Tics
führen können. Nach neueren Untersuchungen scheint jedoch bei der Mehrzahl der
mit Methylphenidat (Ritalin®, Medikinet®, Equasym®) behandelten Kinder keine
bedeutsame und länger dauernde Verschlechterung der Tics einzutreten. Tics
werden daher heute nicht mehr als Hinderungsgrund für eine Behandlung mit
Methylphenidat (Ritalin®, Medikinet®, Equasym®) angesehen.
Stimulanzien sollten stets einschleichend dosiert werden. Es empfiehlt sich, mit einer
morgendlichen Gabe zu beginnen. Aufgrund der relativ kurzen Wirkdauer ist im
Verlauf häufig eine zweite oder dritte Dosis am Vormittag oder Mittag nötig. Eine
Einnahme am späten Nachmittag oder Abend sollte vermieden werden, um
Als Substanzen der zweiten Wahl in der Behandlung des Hyperkinetischen
Syndroms gelten Clonidin (Catapresan®) und Guanfacin (Estulic®) sowie tricyclische
Antidepressiva wie Desipramin (z.B. Pertofran®) und Imipramin (z.B. Tofranil®).
Clonidin (Catapresan®) und Guanfacin (Estulic®) wirken als α-2-adrenerge
Agonisten und hemmen dadurch die Freisetzung des Botenstoffes Noradrenalin.
Beide Substanzen können zu einer Verminderung von Hyperaktivität,
Aufmerksamkeitsstörung und Impulskontrollstörung führen. Die Wirkung ist jedoch
geringer als diejenige der Stimulanzien. Im Gegensatz zu diesen führen sie im
günstigen Fall jedoch auch zu einer Verminderung von Tics. Häufigste
Nebenwirkungen sind Blutdrucksenkung, Müdigkeit, Schwindel, Mundtrockenheit,
Depression und Kopfschmerzen. Guanfacin (Estulic®) verursacht vermutlich seltener
Müdigkeit und eine Blutdrucksenkung als Clonidin (Catapresan®). Es gibt Hinweise
darauf, dass eine Kombinationsbehandlung mit Methylphenidat (Ritalin®,
Medikinet®, Equasym®) und Clonidin (Catapresan®) der jeweiligen Einzeltherapie
überlegen ist. Neuere Studien erbrachten Hinweise darauf, dass das Neuroleptikum
Risperidon (Risperdal) nicht nur zu einer Verminderung von Tics, sondern auch zu
einer Verbesserung von Symptomen des ADHS führt.
Seit dem Jahre 2005 ist mit Atomoxetin (Strattera®) ein weiteres Medikament zur
Therapie des ADHS sowohl bei Kindern auch als bei Jugendlichen in Deutschland
zugelassen. Atomoxetin (Strattera®) beeinflußt nicht – wie Methylphenidat (Ritalin®,
Medikinet®, Equasym®) - das dopaminerge System des Gehirns, sondern wirkt
ausschließlich auf das noradrenerge System (Noradrenalin-
Wiederaufnahmehemmer). Die häufigsten Nebenwirkungen von Atomoxetin
(Strattera®) sind Bauchschmerzen, verminderter Appetit, Übelkeit und Erbrechen.
Gelegentlich können Herzstolpern, Kreislaufprobleme (niedriger Blutdruck) und
Ohnmacht auftreten. Selten wurden Müdigkeit, Hautausschläge,
Stimmungsschwankungen und Reizbarkeit beobachtet.
Den bisherigen Studien zufolge sind Wirkung und Verträglichkeit von Methylphenidat
(Ritalin®, Medikinet®, Equasym®) und Atomeoxetin (Strattera®) bei ADHS
vergleichbar. Bisher nicht untersucht wurde die Behandlung des ADHS mit
Atomoxetin (Strattera®) bei Patienten mit gleichzeitig bestehendem TS. Im
Gegensatz zu Methylphenidat (Ritalin®, Medikinet®, Equasym®) - das gelegentlich
zumindest zu einer passageren Zunahme der Tics führen kann - scheint Atomoxetin
(Strattera®) ersten Erfahrungen zu Folge keinen ungünstigen Einfluß auf Tics zu
haben. Es gibt sogar Vermutungen, dass Atomoxetin (Strattera®) eventuell sogar zu
einer Abnahme von Tics führen könnte. Bei Patienten mit ADHS (ohne TS) stellt
Atomoxetin (Strattera®) mittlerweile eine wichtige Behandlungsalternative zu
Methylphenidat (Ritalin®, Medikinet®, Equasym®) dar.
Nach diesen ausführlichen Darlegungen zur medikamentösen Therapie des ADHS
sollte abschließend betont werden, dass die Betreuung von Kindern mit ADHS
selbstverständlich stets ein multimodales Behandlungsprogramm erfordert. So sollten
neben der medikamentösen Therapie immer auch psychoedukative,
heilpädagogische und kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze Berücksichtigung
Autoaggression
Autoaggression (Selbstverletzung) stellt in relevanter Ausprägung nur ein seltenes
Phänomen im Rahmen des TS dar. Bei stark ausgeprägter Autoaggression kann es
(sehr selten) zu Verletzungen wie Knochenbrüchen, Verbrennungen, Verlust des
Augenlichtes oder inneren Blutungen kommen. Starke autoaggressive Symptome
stellen in der Behandlung ein großes Problem dar. Es gibt kein Medikament, das
verläßlich zu einer Symptomreduktion führt. Zum Teil werden
Kombinationsbehandlungen mit einem Dopaminantagonisten plus einem Serotonin-
Wiederaufnahmehemmer plus Clonazepam (Rivotril®) empfohlen. In kleineren
Studien zeigten auch Opiatantagonisten wie Naltrexon (Nemexin®) einen günstigen
Effekt auf autoaggressives Verhalten. Diese Substanzen blockieren die Wirkung
körpereigener Opiate. Bei starken autoaggressiven Symptomen muß deren
Behandlung der Vorrang gegeben werden, auch wenn sie zunächst mit starken
Mitunter sind auch unkonventionelle Strategien zu ergreifen, wie das Tragen von
Handschuhen, um Schläge an den Kopf oder auf die Augen abzumildern.
Bei schwersten, medikamentös nicht behandelbaren Selbstverletzungen kann als
letzter Ausweg eine neurochirurgische Behandlung in Betracht gezogen werden, die
vergleichbar einer Operation bei schwersten Zwängen erfolgt.
Angst
Angstsymptome können im Rahmen des TS sowohl in Form einer generalisierten
Angststörung aber auch als sogenannte Phobien oder Panikattacken auftreten. Nur
selten sind Angstsymptome bei Tourette-Patienten derart stark ausgeprägt, dass
eine spezielle Therapie notwendig wird. Im Einzelfall ist zu entscheiden, ob einer
Psychotherapie oder einer medikamentösen Behandlung der Vorzug zu geben ist.
Medikamentös werden Angstsymptome in erster Linie mit Serotonin-
Wiederaufnahmehemmern (zu einzelnen Substanzen siehe im Abschnitt
Zwangsgedanken und -handlungen) behandelt. Als wirksam haben sich auch
trizyclische Antidepressiva (wie Clomipramil (Anafranil®) und Imipramin (Tofranil®))
und kombinierte Noradrenalin- und Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (wie
Venlafaxin (Trevilor®)) erwiesen. Kurzfristig können auch Benzodiazepine (wie
Diazepam (Valium®)) eingesetzt werden. Diese Substanzen haben zwar eine gute
angstlindernde Wirkung, können jedoch schnell zu einer Abhängigkeit führen und
sind daher in ihrer Anwendung sehr begrenzt. Im klinischen Alltag ist es notwendig,
„Angstsymptome“ von Zwangsgedanken zu differenzieren, die ebenfalls nicht selten
mit angstbesetzten Inhalten einhergehen.
Depression
Bekanntermaßen treten Depressionen bei Menschen mit Tourette-Syndrom häufiger
ein als bei nicht Tourette-Erkrankten. Die Ursachen hierfür sind vermutlich vielfältig.
Einerseits scheint eine genetisch bedingte Neigung zu bestehen, andererseits
können äußere Faktoren wie eine ungenügende Krankheitsbewältigung,
Stigmatisierungen oder soziale Benachteiligungen sekundär eine depressive
Die Behandlung einer Depression erfolgt abhängig von der Ursache und der
klinischen Symptomatik psychotherapeutisch und/oder medikamentös. Prinzipiell
können bei Tourette-Patienten alle verfügbaren Antidepressiva entsprechend den
Empfehlungen zur Behandlung von depressiven Störungen unabhängig vom TS
angewendet werden. Bestehen gleichzeitig auch Zwangssymptome, so ist einer
Behandlung mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern der Vorzug zu geben, da durch
diese Substanzen günstigenfalls beide Symptome gebessert werden.
Seit einigen Jahren wird diskutiert, dass bei einer kleinen Gruppe von Kindern ein
bakterieller Infekt mit Streptokokken (Gruppe A beta-hämolysierende Streptokokken,
GABHS) die Ursache für das Auftreten von Tics und/oder Zwängen ist. Für diese
Erkrankungsfälle wird derzeit der Begriff PANDAS verwandt (engl. „Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric Disorders Associated with Streptococcal infections“ =
immunologisch bedingte neurologisch-psychiatrische Erkrankungen des Kindesalters
in Zusammenhang mit einem Streptokokkeninfekt). Die derzeitige Definition fordert
für die Diagnose PANDAS folgende fünf Kriterien: Bestehen von Tics und/oder
Zwangssymptomen, Beginn vor der Pubertät, episodischer Verlauf mit abruptem
Beginn oder dramatischer Symptomverschlechterung, Symptombeginn/-zunahme in
engem zeitlichen Zusammenhang mit einem Streptokokkeninfekt (innerhalb von 4
Wochen), neurologische Auffälligkeiten (beispielweise Hyperaktivität, choreatische
Es ist seit vielen Jahren unbestrittene Praxis in der Kinderheilkunde, dass
nachgewiesene Streptokokkeninfekte (positiver Rachenabstrich, positive
Antikörpertiter) mit Antibiotika behandelt werden, um sogenannten Streptokokken-
Folgeerkankungen (Rheumatisches Fieber, Herzschäden etc.) vorzubeugen.
Selbstverständlich sollte daher auch bei der Diagnose PANDAS mit
nachgewiesenem akuten Streptokokkeninfekt eine antibiotische Therapie erfolgen.
Umstritten ist zurzeit aber, ob darüber hinaus weiterreichende Therapien wie eine
längerfristige vorbeugende Antibiotikagabe oder die Gabe von Substanzen, die das
Immunsystem beeinflussen, sinnvoll sind. In kleineren klinischen Studien fanden sich
Hinweise, dass Immuntherapien (beispielsweise Plasmapherese, intravenöse
Immunglobulingabe, Cortison-Präparate, Azathioprin (Imurek®)) effektiv sind. Nach
allgemeiner Einschätzung sollten derartige Behandlungen aber nur im Rahmen
kontrollierter Studien und bei klinisch eindeutiger Diagnose PANDAS eingesetzt
werden. So zeigte sich beispielsweise bei einer 2004 durchgeführten Studie bei 30
Patienten mit TS, dass über die Vene applizierte Immunglobuline nicht zu einer
anhaltenden Verbesserung von Tics und Zwängen führten.
Keinesfalls ist eine generelle Behandlung von Kindern mit Tics und/oder
Zwangssymptomen mit diesen Medikamenten sinnvoll. Einerseits ist bis heute nicht
abschließend geklärt, ob die Diagnose PANDAS überhaupt als eigenständiges
Erkrankungsbild gerechtfertigt ist. Andererseits sind oben genannte Immuntherapien
zum Teil mit erheblichen Risiken und Nebenwirkungen verbunden.
Neue Untersuchungen mit dem Ziel, spezielle Antikörper im Gehirn von Patienten mit
TS nachzuweisen bzw. durch die Verabreichung solcher Antikörper dem TS ähnliche
Erkrankungen bei Versuchstieren hervorzurufen, lieferten bisher keine
überzeugenden Befunde für die Hypothese, dass das TS eine Autoimmunerkrankung
Ob auch andere bakterielle oder virale Infekte an der Entstehung des Tourette-
Syndroms (als sogenannte nicht-genetische Faktoren) beteiligt sind, ist nicht geklärt.
Eine Behandlung mit immunmodulierenden Medikamenten kann daher bisher nicht
Zusammenfassung
Die Behandlung des Tourette-Syndroms erfordert eine gute Kenntnis des jeweiligen
klinischen Bildes. Daher sind eine genaue Erhebung der individuellen
Krankengeschichte sowie eine fachgerechte Untersuchung unerlässliche
Voraussetzungen. Nach eigenen Erfahrungen hat es sich bewährt, die derzeitigen
therapeutischen Möglichkeiten (einschließlich der zu erwartenden Nebenwirkungen)
ausführlich mit dem Patienten zu besprechen und diesem die letzte Entscheidung
über eine Behandlung zu überlassen. Diese wird nicht nur von der Art und
Ausprägung der Symptome, sondern in besonderem Maße auch von der dadurch
verursachten subjektiven Belastung abhängig sein. Nach heutigem Kenntnisstand
sollte bei geringen und nicht belastenden Symptomen keine medikamentöse
Behandlung erfolgen, da die derzeit verfügbaren Substanzen weder die Ursache
noch den Verlauf des TS beeinflussen. Bestehen starke und subjektiv belastende
Symptome, überwiegen meist die Vorteile einer medikamentösen Behandlung die
möglichen Nebenwirkungen. Im Einzelfall kann mit Hilfe der Therapie eine bessere
schulische oder berufliche Leistung ermöglicht werden.
Auch wenn das TS als chronisch verlaufende Erkrankung einzuordnen ist, so ist die
längerfristige Prognose günstig, da Tics mit zunehmendem Lebensalter spontan
rückläufig sind. Nach eigenen Erfahrungen gelingt der überwiegenden Mehrzahl von
Menschen mit TS (mit oder ohne medikamentöse Behandlung) eine gute soziale
Weiterführende Literatur
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RESOLUÇÃO Nº 069/08 - CIB/RS A Comissão Intergestores Bipartite/RS, no uso de suas − a Portaria Ministerial nº 3.237, de 24 de dezembro de 2007;− a Resolução nº 226/05 – CIB/RS, de 15 de dezembro de 2005;− a Resolução nº 247/02 – CIB/RS, de 09 de dezembro de 2002;− a Portaria SES/RS nº 74/02, de 27 de dezembro de 2002;− a necessidade de definir as normas de e